Ostersonntag und -montag in Sierra Leone

Über Ostern ging es gemütlich zu am Magbenteh Community Hospital. Da gerade Trockenzeit ist und weniger Moskitos unterwegs sind leiden entsprechend weniger Menschen an Malaria. So haben wir die Klinik bei unserm Rundgang erstmals nicht ausgelastet erlebt. Die entspannten Ostertage eigneten sich also gut für unseren Plan Hanna bei allen, die sie noch nicht kennen, bekannt zu machen.

Als erstes nahmen wir uns Krankenhausmanager Ibrahim Bangura vor, der neuerdings die beiden Stipendiatenprojekte (Capacity building + Patenprojekt)
betreut und selber zu unseren ehemaligen Stipendiaten gehört. Wir unterhielten uns lange mit ihm über die Möglichkeiten der Objektivierbarkeit des Auswahlprozesses der Kinder des Boarding School Projektes. Neben bei erfuhren wir viel über ihn selbst, seine persönliche Einstellung gegenüber den Projekten und die zurzeit relativ stabile politische Situation im Land. Zu viel, um es hier nieder zu schreiben.

Danach folgten wir der Einladung von Mohammed, einem befreundeten Angestellten, ihn zu Hause zu besuchen. Er wollte uns zeigen, wie der Durchschnittsbürger in Sierra Leone lebt. Wie sehr viele Häuser der Menschen in Makeni, ist das Haus in dem der 25-jährige mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt eine einzige Baustelle. Sein Haus ist nach allen Seite offen und wäre wahrscheinlich für unsere Begriffe unbewohnbar. Ganz im Gegensatz zur Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die mal wieder überwältigend für uns Deutsche war.
Auf dem Nachhauseweg gabelte uns George Adams auf der Straße auf und insistierte uns zu unserer Unterkunft bringen zu dürfen. Er ist Libanese und Besitzer eines Bauutensiliengroßhandels. Unterwegs erzählte er beinahe enthusiastisch von der Zeit des Aufbruchs nach der Ebola-Kriese, bekundete mehrfach seine große Anerkennung gegenüber der nachhaltigen Arbeit von L’appel und bot uns ausdrücklich seine Hilfe für zukünftige Projekte an. „One hand doesn’t clap…“, was wir locker in „mit einer Hand kann man nicht klatschen“ übersetzen würden, verabschiedete sich George mit diesen ermutigenden und wahren Worten von uns.

Zurück in der Unterkunft erholten wir uns kurz von den unglaublichen 43°C, die das Thermometer zeigte, und versendeten noch schnell ein paar Ostergrüße an die Heimat. Als letzten Punkt auf unserer to-do-List machten wir uns auf den Weg zum Baugrund des Schulgeländes. Dort erwarteten uns zwei Fußballfelder planierte Erde umgeben von wunderschönen Palmenhainen und ein paar Kassavafeldern. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie unser Vorhaben langsam Gestalt annimmt. Davon aber in den nächsten Tagen mehr.

Nick begann den Ostermontag mit einem Lauf auf den Berg hinter der Klinik, von wo aus man einen atemberaubenden Blick über die Magbenteh Community hat, während Hanna mit einem pensionierten italienischen Chirugen frühstückte, der für einige Monate am MCH zu Gast ist um zu praktizieren. Durch seine schonungslosen Erzählungen von haarsträubenden Verfehlungen in der Pflege des Krankenhauses wurde uns noch einmal deutlich, wie essentiell wichtig unsere Weiterbildugsmaßnahmen im Rahmen des Capacity buildings sind. Ein nächster, sinnvoller Schritt unserem Partner zu helfen, könnte die Vermittlung einer umfassenden Optimierung der am Krankenhaus stattfindenden Prozesse sein.

Nach einigen Telefonaten bezüglich Hannas immer noch fehlendem Koffer und Planung der kommenden Tage machten wir uns auf den Weg zu Harald Pfeiffer, dem freundlichen altern Herrn, der aus seinem tiefen, christlichen Glauben heraus die SSLDF und das MCH gegründet hat, ihr als Präsident vorsteht und in einem kleinen Haus hinter der Klinik wohnt. Besonders freuten wir uns auch mehr von Erich zu erfahren, der als Elektroingenieur und Fundraiser schon in 21 afrikanischen Ländern tätig war und das MCH seit seiner Eröffnung mit betreut. Unterwegs passte uns der exilkubanische Chirurg Adolpho ab, der gerade auf dem Weg zu einem Notruf in den OP war und uns bat mitzukommen um ihm falls notwendig zu assistieren. Letztlich war unsere Hilfe zwar nicht notwendig, doch der Zustand des Patienten, den Adolpho wegen einer angeblichen Blutung versorgen sollte, bestätigte was wir zuvor von seinem italienischen Kollegen gehört hatten.

Den restlichen Ostermontag verbrachten wir bei Harald und Erich, einem weiteren Vertreter und Hauptsponsor der SSLDF, der ihn gerade besuchte. Dieses Treffen war nicht nur projektplanerisch hochinteressant, sondern gewährte uns auch unschätzbar wertvolle Einblicke in die Struktur und Arbeitsweise unseres Partners, der Magbenteh Community und einzelner Protagonisten mit denen wir zu tun haben.
Wir hörten die unglaubliche Geschichte des Krankenhauses und von Geschehnissen rund um die Kultur der in Sierra Leone lebenden Stämme, die sich unserer Vorstellungskraft weitgehend entziehen. So gibt es beispielsweise einen „Section Chief“, das traditionelle Oberhaupt der Magbenteh Community, der in Ansehen und Einfluss weit über den Vertretern, des Staates, der Kirchen und des Islams steht. Mit ihm sind alle Entscheidungen abzuklären, hinter denen die Gemeinden stehen sollen und man es nicht mit „black magic“ zu tun bekommen will. Er ist es auch, der das Gelände ausgesucht hat, auf dem das Schulgelände stehen wird. Entsprechend sind wir ihm schon des Öfteren begegnet. Jetzt wo er ca. 70 Jahre alt ist, steht ihm ein aus unserer Sicht besonders skurriles Ritual bevor. In einem unbewohnten Tal einige Kilometer entfernt von uns treffen sich alle Voodoopriester und Vertreter der so genannten „secret sociecies“ der Region um ihn in einem feierlichen Ritual zu enthaupten und seinen Leichnam gemeinsam mit dem Kopf seines Vorgängers in einer dreitägigen und im Geheimen abgehaltenen Zeremonie zu bestatten.
Drei Tage lang darf dann nicht über den Toten gesprochen werden – bis sein Nachfolger eingeweiht ist.
Anhand dieses und vieler weiterer Beispiele wurde uns ein weiteres Mal vor Augen geführt, wie sehr sich diese Welt in ihrer vielseitigen und reichen Kultur doch von der unterscheidet, die uns vertraut ist.

Wir sprachen auch viel über die besorgniserregende politische Situation im Land, dessen Bevölkerung sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat und dessen durchschnittliches Alter bei weit unter 20 Jahren liegt. Besonders für ungebildete, junge Männer ist die Situation verheerend, da es für sie weder Arbeit noch Perspektive gibt. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlassen sie ihre Dörfer und kommen zu tausenden in die Städte um ihr Glück zu machen. Manche schaffen es, sich als Motorradtaxifahrer oder Tagelöhner einen Lebensunterhalt zu verdienen. Viele landen aber auch in den Minen, oder auf den Feldern multinationaler Zuckerrohr- und Palmölproduzenten, wo sie für harte Arbeit zu schlecht entlohnt werden um sich davon eine Existenz aufbauen zu können. Doch seit drei der fünf größten Minenunternehmen in Folge der Ebolakrise das Land verlassen haben und auch die Bioethanolindustrie, die in Makeni der größte Arbeitgeber war, vollkommen eingebrochen ist, ist selbst diese Option Geschichte.

Die Regierungspartei schlug aus der Krise nicht nur durch zusätzliche Entwicklungshilfegelder finanziell großen Profit, sondern nutzte den „state of emergency“ in dem sich das Land monatelang befand auch dazu, um ihre Macht zu festigen um zunehmend totalitär und dabei leider wohl auch zunehmend korrupt zu regieren. Beispielsweise war die Brücke, die zu unserem Schulgelände führt ursprünglich blau. Da blau aber die Farbe der Oppositionspartei ist, wurde durch den Minister des Distrikts ein sofortiges Umstreichen in rot – der Farbe der Regierungspartei erwirkt. Ähnlich wurde mit dem Dach der gerade im Bau befindlichen neuen Gynäkologie verfahren.

Noch einmal wurde uns nahe gelegt, dringend nach Gynäkologen und Pädiatern Ausschau zu halten, die bereit wären für einige Zeit am MCH zu wirken. Derzeit sind beide Fachdisziplinen in Händen von mäßig ausgebildeten Krankenschwestern und die Rate an vermeidbaren Todesfällen ist hoch.

Erfreulich allerdings ist, dass dank dem motorradfahrenden und stets gut gelaunten Adolpho zumindest die Chirurgie jetzt permanent besetzt ist und rund um die Uhr Kaiserschnitte durchgeführt werden können.

Für den nächsten Tag verabredeten wir uns mit Erich und Gabboh, einem der Fahrer der SSLDF, um gemeinsam in die Hauptstadt zu fahren. Erichs vierwöchiger Aufenthalt war zu Ende und wir hatten Nachricht bekommen, dass Hannas Tasche nun endlich angekommen sei und zur Abholung bereit stehe…